Channel Fokus: Dienstleister der Zukunft Das Systemhaus wird zum Auslaufmodell

Von Michael Hase Lesedauer: 9 min

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Hat das klassische Systemhaus noch eine Zukunft? Moderne Dienstleister unterstützen Kunden bei der Digitalisierung des Geschäfts – von der smarten Abfallwirtschaft über kreatives Homeschooling bis zur Telemedizin. Einige Kompetenzen sind dafür unverzichtbar.

Systemhäuser transformieren sich mit ihren Kunden. Entsteht dadurch ein neuer Typus von Dienstleister?
Systemhäuser transformieren sich mit ihren Kunden. Entsteht dadurch ein neuer Typus von Dienstleister?
(Bild: ©rolffimages - stock.adobe.com)

Ein Erfolgsmodell ist in die Krise geraten. Die Anzeichen dafür sind kaum zu übersehen: Viele Systemhäuser haben in den vergangenen Monaten den Besitzer gewechselt, darunter bekannte Namen wie AHD, Basys, Bizteam, Cema, Dreger IT, EDV-BV, Eickelschulte, Horn & Cosifan, IF-Tech, Indevis, Netzplan, Rednet, Systemhaus Cramer oder Vintin. Die meisten Häuser wurden von größeren Gruppen oder Private-Equity-Gesellschaften übernommen. Und die Konsolidierungswelle nimmt weiter an Fahrt auf. Oliver Wegner, CEO des Beratungshauses Evolutionplan, hat ermittelt, dass in den vergangenen vier Jahren mehr als 80 Eigentümer ihre Systemhäuser an Finanzinvestoren verkauft haben. Weitere 150 werden in den kommenden drei bis vier Jahren diesem Beispiel folgen, erwartet der M&A-Experte.

Das Phänomen lässt sich nicht allein damit erklären, dass viele Häuser in den späten 80er- oder frühen 90er-Jahren gegründet wurden und die Inhaber sich nun dem Rentenalter nähern. Das typische mittelständische Systemhaus tut sich immer schwerer, den IT-Bedarf von Unternehmen umfassend zu bedienen. Dieser Anspruch lässt sich allenfalls noch bei kleinen Kunden einlösen. Denn das IT-Geschäft ist im Zuge der Digitalisierung vielfältiger und komplexer geworden: Themen wie Cloud, Modern Workplace, IoT, Analytics sowie neue Networking- und Security-Konzepte fordern Dienstleistern ein höheres Maß an Spezialisierung ab. Zudem verändert sich der Bedarf der Kunden, die IT als Service nutzen wollen und daher von ihren Betreuern aus dem Channel erwarten, dass die als Managed Service Provider auch Betriebsverantwortung für sie übernehmen.

Verzahnung von IT und Prozessen

Die Aufgaben, die sich Systemhäusern stellen, werden somit anspruchsvoller. Produkte zu verkaufen und in die Systemlandschaft von Kunden zu integrieren, ist seit langem zu wenig. Die Anforderungen steigen aber nicht nur auf technologischer Seite. IT verzahnt sich in Unternehmen enger mit den Geschäftsprozessen. Damit werden Investitionsentscheidungen immer häufiger in Fachabteilungen getroffen, die der Vertrieb anders ansprechen muss als die IT-Organisation. „Die Vertriebsleute vieler Systemhäuser sind es nicht gewohnt, mit Produktions- oder Marketingleitern über deren Prozesse zu reden“, weiß Jacques Diaz, CEO bei ­Axians Deutschland. „Die Transformation ist viel schwieriger, als man glaubt.“

In der Tat! Neue technologische und vertriebliche Skills aufzubauen, ist mit großem Aufwand verbunden, braucht Zeit und erfordert nicht selten Investitionen in zusätzliches Personal. Der anhaltende Mangel an Fachkräften macht die Herausforderung nicht kleiner. Wen wundert es, dass Systemhausinhaber in dieser Situation ­einen Ausweg darin sehen, sich mit ihrem Unternehmen einer größeren Organisation oder einer Gruppe anzuschließen? Schließlich finden sie dort ein breiteres Kompetenzspektrum vor. Und häufig ist auch Kapital vorhanden.

Verkaufen ist aber nicht für jedes Unternehmen im Channel eine Option. Viele Häuser haben eigene Strategien entwickelt, mit denen sie auf den Wandel der Branche reagieren. Ein Beispiel dafür ist Avodaq aus Hamburg. Der Dienstleister wächst aus eigener Kraft und beschäftigt derzeit rund 250 Mitarbeiter an zehn Standorten. In den vergangenen zwei Jahren kamen rund 70 Leute neu hinzu. Schwerpunkte des langjährigen Cisco-Partners liegen auf Kommunikation, Collaboration, Networking, IoT und ­Security. Auf diesen Feldern konzipiert er Lösungen, baut die Infrastrukturen dafür auf und betreibt sie für Kunden. Dabei sieht sich das Unternehmen nicht mehr als Systemhaus. „Der Begriff ist für uns überholt“, sagt Robert Mallinson, Director Sales & Advisory bei Avodaq.

Partner für den Change

Die Hanseaten nennen sich selbst Digital Transformation Partner. Bei Kunden steht für sie nicht allein die Technologie im Mittelpunkt, sondern das Zusammenspiel von Mensch, Prozessen und Systemen, wie Mallinson ausführt. „Jedes Unternehmen, vom Pizzabäcker bis zum Industriekonzern, muss heute sein Geschäftsmodell digitalisieren. Darin liegt für uns der Antrieb, neue Wege zu gehen.“ Neben technischen Beratern und Ingenieuren, die Hardware und Software zu ­Lösungen verbinden, beschäftigt Avodaq sogenannte Change Consultants. Die Experten gehen in Projekten vom Geschäftsmodell und dem Business Case des Kunden aus und definieren gemeinsam mit ihm die Ziele. Anschließend designt der Dienstleister eine individuelle Lösung und begleitet das Unternehmen bei ­deren Einführung. Dabei werden alle relevanten Einheiten einbezogen: die involvierten Fachbereiche, die IT, das Management, die Personalabteilung und der Betriebsrat. „Wir müssen uns heute mit viel mehr Stakeholdern auseinandersetzen als nur der IT-Abteilung.“

Robert Mallinson, Director Sales & Advisory bei Avodaq
„Wir verfolgen einen ganzheitlichen Advisory-Ansatz. Bevor wir mit dem Kunden über eine Technologie reden, diskutieren wir mit ihm darüber, was deren Einführung für sein Unternehmen bedeutet. Als Dienstleister muss man das Business des Kunden verstehen, mit welchen Key Performance Indikatoren (KPIs) er es misst und wohin er es entwickeln will.“

Bildquelle: Michael Hase

Auch wenn die Hamburger sich auf keine Branche fokussieren, so haben sie eine ­gewisse Affinität zum Healthcare-Sektor und haben dort wegweisende Projekte umgesetzt. Bereits 2015 entwickelte ­Avodaq für das Klinikum Eppendorf gemeinsam mit Cisco eine Homeschooling-Lösung, die es krebskranken Kindern ermöglicht, vom Krankenhaus aus oder von zuhause am Unterricht teilzunehmen. Im Jahr darauf beteiligte sich der ITK-Spezialist ebenfalls mit dem Netzwerkriesen am Aufbau des „Refugee First Response Center“, eines Medizincontainers, in dem sich Ärzte und Geflüchtete, um Sprachbarrieren zu überwinden, per Videokonferenz mit Dolmetschern verbinden. 2021 zeichnete Cisco den Dienstleister in der neugeschaffenen Kategorie „Transformation / Innovation“ als Partner of the Year aus. Prokurist Mallinson sieht darin eine Anerkennung der Digitalexpertise.

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Eine wichtige Lösungskomponente für Avodaq ist Software. Das Unternehmen hat vor fünf Jahren damit begonnen, eine eigene Entwicklungsabteilung aufzubauen. Sie schreibt Software zur Automatisierung von Prozessen und zur Verbindung von Systemen über APIs. In Zukunft sollen auch eigene Produkte entstehen, die Kunden bei der Digitalisierung ihrer Prozesse unterstützen.

Vertikale Lösungskompetenz

In dieser Hinsicht ist Axians bereits einen Schritt weiter. Der Dienstleister erzielt hierzulande etwa ein Fünftel seines Umsatzes mit eigener Software, darunter Produkte zur Digitalisierung von Prozessen in der Abfallwirtschaft, der Schüttgutlogistik oder der öffentlichen Verwaltung. Die Transformation der Kunden dränge das Unternehmen „in die vertikale Lösungskompetenz“, stellt Deutschlandchef Diaz fest. Axians gehört zum französischen ­Industriedienstleister Vinci Energies, der seine ITK-Töchter seit 2015 europaweit unter einer Marke zusammenführte. Hierzulande ging unter anderem das ­Ulmer Systemhaus Fritz & Macziol in dem Konstrukt auf.

Jacques Diaz, CEO bei Axians Deutschland
„Systemhaus hieß ursprünglich: 80 bis 90 Prozent Reselling, und der Rest war Veredelung. Dabei ist kaum jemand stehengeblieben. Die meisten haben ihre Dienstleistungen signifikant ausgebaut. Also muss man entweder die Definition verändern oder den Namen anpassen. Mittlerweile tendiere ich dazu, dass man zu einem neuen Namen kommt.“

Bildquelle: Axians

Das Unternehmen verfolgt nach eigenen Angaben einen 360-Grad-Ansatz und deckt das Spektrum von der passiven Infrastruktur bis zur Anwendungsebene, von der Glasfaser bis zum SAP-System ab. Dabei befassen sich die knapp 2.000 deutschen Mitarbeiter mit Carrier- und Unternehmensnetzen, Cloud- und Datacenter-Infrastrukturen, Business Applications und Analytics, Digital Workplace und Security. Professional Services und Managed Services machen einen signifikanten Anteil des Geschäfts aus. Nicht zuletzt entwickelt Axians gemeinsam mit Vinci-Schwestern smarte Lösungen für die Industrie, bei denen IT und OT verbunden werden.

Im Zuge der eigenen Transformation hat der ITK-Spezialist nicht nur Geschäft ausgebaut, sondern auch zurückgefahren, etwa den klassischen Produktvertrieb. „Wir reden nicht mehr von Reselling“, betont Diaz. „Für uns als ICT-Dienstleister und MSP steht die Kundenanforderung im Vordergrund.“ Diese Neuausrichtung hat zu einer Straffung des Herstellerportfolios geführt. So fokussiert sich Axians in der Infrastruktur auf Cisco. Natürlich verkaufe und integriere man noch Produkte. „Aber wir machen Geschäfte nur noch selektiv mit den Technologien, die wir richtig gut beherrschen und bei denen wir den Kunden einen wirklichen Mehrwert bieten können.“ Bei der Systemintegration überwiegt der Anteil an Projektdienstleistungen, die um Managed Services ergänzt werden. Axians versteht sich heute als Architekt und Betreiber digitaler Infrastrukturen.

Begleiter bei der Cloud-Transformation

Services bestimmen auch das Geschäft von Evoila aus Mainz. Der VMware-Partner begleitet seine Kunden bei der Cloud-Transformation. Dabei erbringt er vor allem Beratungs-, Engineering- und ­Betriebsleistungen, während das Produkt- und Lizenzgeschäft eine unter­geordnete Rolle spielt. „IT wird immer komplexer und findet zunehmend verteilt statt“, erläutert Johannes Hiemer, Gründer und CEO von Evoila. „Viele Unternehmen benötigen mittlerweile einen 24 / 7-Workflow und müssen einen wachsenden Strauß an Technologien beherrschen.“ Diese ­Anforderungen seien intern nicht mehr umzusetzen, schon gar nicht in der benötigten Qualität. An dem Punkt komme der Dienstleister ins Spiel, löse komplexe Sachverhalte und überführe sie anschließend in Managed Services.

Jürgen Horak, Executive Partner bei Evoila
„Wir sind keine reinen Business-Berater und werden es auch nicht werden. Wir verstehen, was der Kunde braucht, und können dessen Anforderungen in Technik übersetzen. Für uns als Consultants geht es dabei viel ums Zuhören. Wenn ein Kunde weiß, was er im Business will, sich aber mit der Umsetzung schwertut, dann sind wir der richtige Dienstleister für ihn.“

Bildquelle: Evoila

So erstellt Evoila etwa Hybrid- und Multicloud-Umgebungen auf den Plattformen von AWS und Microsoft oder baut Container-Infrastrukturen auf, die On Premises, in der Cloud oder hybrid betrieben werden. Dabei verfolgt der Spezialist einen ganzheitlichen Ansatz, der nicht nur technologische Aspekte berücksichtigt, sondern auch die Geschäftsziele von Unternehmen wie etwa eine schnellere Time to Market. „Bei unseren Kunden bilden wir den kompletten Lifecycle ab“, führt Hiemer aus. „Wir schauen uns die Anforderungen und Prozesse an, bauen die automatisierte Infrastruktur, helfen den Entwicklern. die Applikationen onzuboarden oder neu zu schreiben, und übernehmen den Betrieb des gesamten Stacks.“

In puncto Geschäftsmodell grenzen sich die Rheinland-Pfälzer klar von Systemhäusern ab, die nach ihrer Einschätzung primär vertriebsorientiert sind. „Finance und Sales geben dort vor, wohin das Geschäft laufen soll“, urteilt Jürgen Horak, Managing Partner bei Evoila. „Bei uns bestimmen die Techniker, in welche Richtung es geht: Unser Schwerpunkt ist Dienstleistung, und darauf sind alle Strukturen und Prozesse ausgerichtet.“ Der frühere NTT-Manager verantwortet seit April das Geschäft von Evoila in Österreich. Das Unternehmen, das sein Team in diesem Jahr von 100 auf 130 Mitarbeiter aufgestockt hat, will weiter expandieren. Dazu einen Investor an Bord zu nehmen, scheint für die Mainzer derzeit kein Thema. Die Freiheit zu entscheiden, wie sie agieren, ist ihnen wichtig.

Der Channel rückt näher zusammen

Die Cluster-Bildung in der Systemhauslandschaft schreitet voran. Zwei neue Gruppen, die in diesem Jahr die Bühne betreten haben, sind Teccle und Connexta. In beiden haben sich etablierte Dienstleister zusammengeschlossen. Die Teccle Group, die im September 2020 in Frankfurt / Main gegründet wurde, kaufte seit Dezember 2020 sieben System- und Beratungshäuser: Acontech, ADD IT & Consulting, Aluxo, Dreger IT, EDV-BV, Netzplan und Smea IT. Hinter der Gruppe steht die Bremer Beteiligungsgesellschaft FMC als Geldgeber.

Eine ähnliche Strategie verfolgt der Investor Aurelius mit Connexta. Die Münchner Gesellschaft gründete die Dienstleistungsgruppe im Juni dieses Jahres. Seit Oktober 2019 hatte Aurelius schon die Systemhäuser Basys, ID.kom und Neam erworben. Im September 2021 kamen das Beratungshaus If-Tech und dessen Tochter Newcotec hinzu. Nach FMC und Aurelius hat in diesem Jahr auch die Beteiligungsfirma HQIB aus Bad Homburg damit begonnen, eine Gruppe aufzubauen. Sie übernahm bislang Horn & Cosifan, PK Office und Systemhaus Cramer. Derzeit gibt es noch keine gemeinsame Marke.

Eine aktive Rolle bei der Konsolidierung des Channels spielen auch die Systemhäuser Netgo und MCL, die ebenfalls von Investoren finanziert werden. Seit sich die niederländische Gesellschaft Waterland im Herbst 2019 mehrheitlich an Netgo beteiligte, kaufte die Gruppe mit Hauptsitz im westfälischen Borken ebenfalls sieben Unternehmen: Arxes-Tolina, Cema, Commehr, Comnet, CSM Mein Systemhaus, Mehrwerk und Workbees. Hinter MCL aus Böblingen steht der amerikanische Fonds One Equity Partners, der im März 2020 bei den Schwaben einstieg. Die übernahmen seither die Systemhäuser Elanity, Secadm und Vintin.

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