Channel Fokus: Dienstleister der Zukunft Das Systemhaus wird zum Auslaufmodell
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Hat das klassische Systemhaus noch eine Zukunft? Moderne Dienstleister unterstützen Kunden bei der Digitalisierung des Geschäfts – von der smarten Abfallwirtschaft über kreatives Homeschooling bis zur Telemedizin. Einige Kompetenzen sind dafür unverzichtbar.

Ein Erfolgsmodell ist in die Krise geraten. Die Anzeichen dafür sind kaum zu übersehen: Viele Systemhäuser haben in den vergangenen Monaten den Besitzer gewechselt, darunter bekannte Namen wie AHD, Basys, Bizteam, Cema, Dreger IT, EDV-BV, Eickelschulte, Horn & Cosifan, IF-Tech, Indevis, Netzplan, Rednet, Systemhaus Cramer oder Vintin. Die meisten Häuser wurden von größeren Gruppen oder Private-Equity-Gesellschaften übernommen. Und die Konsolidierungswelle nimmt weiter an Fahrt auf. Oliver Wegner, CEO des Beratungshauses Evolutionplan, hat ermittelt, dass in den vergangenen vier Jahren mehr als 80 Eigentümer ihre Systemhäuser an Finanzinvestoren verkauft haben. Weitere 150 werden in den kommenden drei bis vier Jahren diesem Beispiel folgen, erwartet der M&A-Experte.
Das Phänomen lässt sich nicht allein damit erklären, dass viele Häuser in den späten 80er- oder frühen 90er-Jahren gegründet wurden und die Inhaber sich nun dem Rentenalter nähern. Das typische mittelständische Systemhaus tut sich immer schwerer, den IT-Bedarf von Unternehmen umfassend zu bedienen. Dieser Anspruch lässt sich allenfalls noch bei kleinen Kunden einlösen. Denn das IT-Geschäft ist im Zuge der Digitalisierung vielfältiger und komplexer geworden: Themen wie Cloud, Modern Workplace, IoT, Analytics sowie neue Networking- und Security-Konzepte fordern Dienstleistern ein höheres Maß an Spezialisierung ab. Zudem verändert sich der Bedarf der Kunden, die IT als Service nutzen wollen und daher von ihren Betreuern aus dem Channel erwarten, dass die als Managed Service Provider auch Betriebsverantwortung für sie übernehmen.
Verzahnung von IT und Prozessen
Die Aufgaben, die sich Systemhäusern stellen, werden somit anspruchsvoller. Produkte zu verkaufen und in die Systemlandschaft von Kunden zu integrieren, ist seit langem zu wenig. Die Anforderungen steigen aber nicht nur auf technologischer Seite. IT verzahnt sich in Unternehmen enger mit den Geschäftsprozessen. Damit werden Investitionsentscheidungen immer häufiger in Fachabteilungen getroffen, die der Vertrieb anders ansprechen muss als die IT-Organisation. „Die Vertriebsleute vieler Systemhäuser sind es nicht gewohnt, mit Produktions- oder Marketingleitern über deren Prozesse zu reden“, weiß Jacques Diaz, CEO bei Axians Deutschland. „Die Transformation ist viel schwieriger, als man glaubt.“
In der Tat! Neue technologische und vertriebliche Skills aufzubauen, ist mit großem Aufwand verbunden, braucht Zeit und erfordert nicht selten Investitionen in zusätzliches Personal. Der anhaltende Mangel an Fachkräften macht die Herausforderung nicht kleiner. Wen wundert es, dass Systemhausinhaber in dieser Situation einen Ausweg darin sehen, sich mit ihrem Unternehmen einer größeren Organisation oder einer Gruppe anzuschließen? Schließlich finden sie dort ein breiteres Kompetenzspektrum vor. Und häufig ist auch Kapital vorhanden.
Verkaufen ist aber nicht für jedes Unternehmen im Channel eine Option. Viele Häuser haben eigene Strategien entwickelt, mit denen sie auf den Wandel der Branche reagieren. Ein Beispiel dafür ist Avodaq aus Hamburg. Der Dienstleister wächst aus eigener Kraft und beschäftigt derzeit rund 250 Mitarbeiter an zehn Standorten. In den vergangenen zwei Jahren kamen rund 70 Leute neu hinzu. Schwerpunkte des langjährigen Cisco-Partners liegen auf Kommunikation, Collaboration, Networking, IoT und Security. Auf diesen Feldern konzipiert er Lösungen, baut die Infrastrukturen dafür auf und betreibt sie für Kunden. Dabei sieht sich das Unternehmen nicht mehr als Systemhaus. „Der Begriff ist für uns überholt“, sagt Robert Mallinson, Director Sales & Advisory bei Avodaq.
Partner für den Change
Die Hanseaten nennen sich selbst Digital Transformation Partner. Bei Kunden steht für sie nicht allein die Technologie im Mittelpunkt, sondern das Zusammenspiel von Mensch, Prozessen und Systemen, wie Mallinson ausführt. „Jedes Unternehmen, vom Pizzabäcker bis zum Industriekonzern, muss heute sein Geschäftsmodell digitalisieren. Darin liegt für uns der Antrieb, neue Wege zu gehen.“ Neben technischen Beratern und Ingenieuren, die Hardware und Software zu Lösungen verbinden, beschäftigt Avodaq sogenannte Change Consultants. Die Experten gehen in Projekten vom Geschäftsmodell und dem Business Case des Kunden aus und definieren gemeinsam mit ihm die Ziele. Anschließend designt der Dienstleister eine individuelle Lösung und begleitet das Unternehmen bei deren Einführung. Dabei werden alle relevanten Einheiten einbezogen: die involvierten Fachbereiche, die IT, das Management, die Personalabteilung und der Betriebsrat. „Wir müssen uns heute mit viel mehr Stakeholdern auseinandersetzen als nur der IT-Abteilung.“
Auch wenn die Hamburger sich auf keine Branche fokussieren, so haben sie eine gewisse Affinität zum Healthcare-Sektor und haben dort wegweisende Projekte umgesetzt. Bereits 2015 entwickelte Avodaq für das Klinikum Eppendorf gemeinsam mit Cisco eine Homeschooling-Lösung, die es krebskranken Kindern ermöglicht, vom Krankenhaus aus oder von zuhause am Unterricht teilzunehmen. Im Jahr darauf beteiligte sich der ITK-Spezialist ebenfalls mit dem Netzwerkriesen am Aufbau des „Refugee First Response Center“, eines Medizincontainers, in dem sich Ärzte und Geflüchtete, um Sprachbarrieren zu überwinden, per Videokonferenz mit Dolmetschern verbinden. 2021 zeichnete Cisco den Dienstleister in der neugeschaffenen Kategorie „Transformation / Innovation“ als Partner of the Year aus. Prokurist Mallinson sieht darin eine Anerkennung der Digitalexpertise.
Eine wichtige Lösungskomponente für Avodaq ist Software. Das Unternehmen hat vor fünf Jahren damit begonnen, eine eigene Entwicklungsabteilung aufzubauen. Sie schreibt Software zur Automatisierung von Prozessen und zur Verbindung von Systemen über APIs. In Zukunft sollen auch eigene Produkte entstehen, die Kunden bei der Digitalisierung ihrer Prozesse unterstützen.
Vertikale Lösungskompetenz
In dieser Hinsicht ist Axians bereits einen Schritt weiter. Der Dienstleister erzielt hierzulande etwa ein Fünftel seines Umsatzes mit eigener Software, darunter Produkte zur Digitalisierung von Prozessen in der Abfallwirtschaft, der Schüttgutlogistik oder der öffentlichen Verwaltung. Die Transformation der Kunden dränge das Unternehmen „in die vertikale Lösungskompetenz“, stellt Deutschlandchef Diaz fest. Axians gehört zum französischen Industriedienstleister Vinci Energies, der seine ITK-Töchter seit 2015 europaweit unter einer Marke zusammenführte. Hierzulande ging unter anderem das Ulmer Systemhaus Fritz & Macziol in dem Konstrukt auf.
Das Unternehmen verfolgt nach eigenen Angaben einen 360-Grad-Ansatz und deckt das Spektrum von der passiven Infrastruktur bis zur Anwendungsebene, von der Glasfaser bis zum SAP-System ab. Dabei befassen sich die knapp 2.000 deutschen Mitarbeiter mit Carrier- und Unternehmensnetzen, Cloud- und Datacenter-Infrastrukturen, Business Applications und Analytics, Digital Workplace und Security. Professional Services und Managed Services machen einen signifikanten Anteil des Geschäfts aus. Nicht zuletzt entwickelt Axians gemeinsam mit Vinci-Schwestern smarte Lösungen für die Industrie, bei denen IT und OT verbunden werden.
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Channel Fokus: Dienstleister der Zukunft
Das Systemhaus wird zum Trusted Advisor für die Transformation
Im Zuge der eigenen Transformation hat der ITK-Spezialist nicht nur Geschäft ausgebaut, sondern auch zurückgefahren, etwa den klassischen Produktvertrieb. „Wir reden nicht mehr von Reselling“, betont Diaz. „Für uns als ICT-Dienstleister und MSP steht die Kundenanforderung im Vordergrund.“ Diese Neuausrichtung hat zu einer Straffung des Herstellerportfolios geführt. So fokussiert sich Axians in der Infrastruktur auf Cisco. Natürlich verkaufe und integriere man noch Produkte. „Aber wir machen Geschäfte nur noch selektiv mit den Technologien, die wir richtig gut beherrschen und bei denen wir den Kunden einen wirklichen Mehrwert bieten können.“ Bei der Systemintegration überwiegt der Anteil an Projektdienstleistungen, die um Managed Services ergänzt werden. Axians versteht sich heute als Architekt und Betreiber digitaler Infrastrukturen.
Begleiter bei der Cloud-Transformation
Services bestimmen auch das Geschäft von Evoila aus Mainz. Der VMware-Partner begleitet seine Kunden bei der Cloud-Transformation. Dabei erbringt er vor allem Beratungs-, Engineering- und Betriebsleistungen, während das Produkt- und Lizenzgeschäft eine untergeordnete Rolle spielt. „IT wird immer komplexer und findet zunehmend verteilt statt“, erläutert Johannes Hiemer, Gründer und CEO von Evoila. „Viele Unternehmen benötigen mittlerweile einen 24 / 7-Workflow und müssen einen wachsenden Strauß an Technologien beherrschen.“ Diese Anforderungen seien intern nicht mehr umzusetzen, schon gar nicht in der benötigten Qualität. An dem Punkt komme der Dienstleister ins Spiel, löse komplexe Sachverhalte und überführe sie anschließend in Managed Services.
So erstellt Evoila etwa Hybrid- und Multicloud-Umgebungen auf den Plattformen von AWS und Microsoft oder baut Container-Infrastrukturen auf, die On Premises, in der Cloud oder hybrid betrieben werden. Dabei verfolgt der Spezialist einen ganzheitlichen Ansatz, der nicht nur technologische Aspekte berücksichtigt, sondern auch die Geschäftsziele von Unternehmen wie etwa eine schnellere Time to Market. „Bei unseren Kunden bilden wir den kompletten Lifecycle ab“, führt Hiemer aus. „Wir schauen uns die Anforderungen und Prozesse an, bauen die automatisierte Infrastruktur, helfen den Entwicklern. die Applikationen onzuboarden oder neu zu schreiben, und übernehmen den Betrieb des gesamten Stacks.“
In puncto Geschäftsmodell grenzen sich die Rheinland-Pfälzer klar von Systemhäusern ab, die nach ihrer Einschätzung primär vertriebsorientiert sind. „Finance und Sales geben dort vor, wohin das Geschäft laufen soll“, urteilt Jürgen Horak, Managing Partner bei Evoila. „Bei uns bestimmen die Techniker, in welche Richtung es geht: Unser Schwerpunkt ist Dienstleistung, und darauf sind alle Strukturen und Prozesse ausgerichtet.“ Der frühere NTT-Manager verantwortet seit April das Geschäft von Evoila in Österreich. Das Unternehmen, das sein Team in diesem Jahr von 100 auf 130 Mitarbeiter aufgestockt hat, will weiter expandieren. Dazu einen Investor an Bord zu nehmen, scheint für die Mainzer derzeit kein Thema. Die Freiheit zu entscheiden, wie sie agieren, ist ihnen wichtig.
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