Channel Fokus: Value Added Distribution Die Transformation der Distribution

Autor Michael Hase |

Die Digitalisierung verändert auch den Distributionsmarkt. Hergebrachte Zuschreibungen wie Broadliner oder VAD ergeben mittlerweile kaum mehr Sinn. Zu den künftigen Aufgaben von ITK-Großhändlern gehört es, ihre Partner für das digitale Zeitalter fit zu machen.

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Mit der Digitalen Transformation wandeln sich Geschäftsmodelle, manche sogar von Grund auf.
Mit der Digitalen Transformation wandeln sich Geschäftsmodelle, manche sogar von Grund auf.
(Bild: kentoh - stock.adobe.com)

Die ITK-Industrie kann gar nicht anders, als beständig Neues hervorzubringen. Von den zehn Herstellern, die 2018 in den USA die meisten Patente anmeldeten, stammten die ersten neun aus der Branche: IBM, Samsung, Canon, Intel, LG, TSMC, Microsoft, Qualcomm und Apple. Zusammen kamen sie auf rund 32.500 von insgesamt 43.600 neuen Patenten. Diese Zahlen geben einen Eindruck von der Stärke des Entwicklungsmotors, der hinter der Vielzahl neuer Technologien und Produkte steht, die permanent auf den ITK-Markt drängen.

Das hohe Innovationstempo in der Branche zu bewältigen, gehört für Fachhändler zum alltäglichen Geschäft. Zur Seite stehen ihnen dabei seit jeher Distributoren. Als Mittler zwischen Anbietern und den Unternehmen im Channel zählt es zu ihren Aufgaben, dem Handel neue Technologien nahezubringen, indem sie ihre Partner schulen, sie beraten oder ihnen in unterschiedlichen Vertriebs- und Projektsituationen konkrete Hilfestellung leisten. „Wir nutzen das Knowhow der Distributoren, wo wir noch keines haben“, bringt Martin Hörhammer, CEO bei Medialine, aus der Perspektive eines Systemhauses auf den Punkt, worin eine wesentliche Leistung der Distribution besteht.

Grenzen verschwimmen

Ursprünglich sahen es vor allem Unternehmen, die sich selbst das Label Value Added Distributor (VAD) anhefteten, als ihre Domäne an, Systemhäuser bei der Vermarktung neuer, erklärungsbedürftiger Produkte zu unterstützen. Das Bild hat sich inzwischen aber verändert, da es kaum noch ITK-Großhändler gibt, die nicht für sich in Anspruch nehmen, so genannte Mehrwertdienste zu erbringen. „Jeder Distributor, egal wie klein oder groß, nennt sich heute VAD“, beobachtet Oliver Kügow, Geschäftsführer bei Proact Deutschland. Noch einen Schritt weiter geht Alexander Maier, Chief Executive Germany bei Ingram Micro. Der Manager erkennt strukturelle Marktverschiebungen, durch die hergebrachte Trennlinien verschwimmen: „Vertriebsformate wie Broadline, Value Add, Speciality und Cloud gehen nahtlos ineinander über.“ Als Grund dafür nennt Maier die Digitale Transformation (Alexander Maier im Interview).

Mit der Digitalisierung dringt IT in nahezu alle Wirtschaftsbereiche vor. Innovation bedeutet damit nicht mehr nur Weiterentwicklung auf technologischer Ebene, sondern auch bei den Geschäftsmodellen. Im Kern hat diese Transformation drei Dimensionen. Zum einen ermöglicht Technologie, dass Menschen heute anders als früher weitgehend losgelöst von Ort und Zeit zusammenarbeiten. Zum anderen verändern sich Entscheidungsprozesse in Unternehmen, indem dafür große Datenmengen aufbereitet und mit intelligenten Verfahren analysiert werden. Nicht zuletzt verzahnt sich IT in allen Branchen immer enger mit den Geschäftsprozessen, und das nicht nur in den Büros, sondern in nahezu allen Bereichen: in der Produktion, in der Logistik oder am Point of Sale.

Neue Fähigkeiten

Diese Entwicklung birgt immens großes Potenzial für den Channel. Es zu erschließen, ist aber nicht unbedingt einfach. Komplexe Kundenanforderungen können bedeuten, dass Systemhäuser neue Fähigkeiten und neues Wissen (beispielsweise vertikales Knowhow) erwerben müssen, dass sie sich in der Tiefe mit Konzepten wie Cloud, Data Analytics oder Edge Computing auseinandersetzen, dass sie ihr Dienstleistungsportfolio um Managed Services ergänzen oder dass sie ihr eigenes Ökosystem erweitern.

Bei all diesen Anforderungen kann die Distribution ihre Partner durchaus unterstützen. Einige Ansätze dazu gibt es bereits, etwa in Form von Geschäftsmodellberatung, Digitalisierungsworkshops oder der Vermittlung von Kooperationspartnern mit anderer fachlicher Ausrichtung. Der ein oder andere Distributor beschäftigt bereits Experten, die Systemhäuser an Zukunftsthemen wie IoT oder Machine Learning heranführen. Damit wird zugleich offenkundig, dass sich die Mittlerrolle mit der Digitalen Transformation verändert. Denn letztlich geht es um mehr, als Systemhäusern das notwendige Wissen über neue Produkte, und ­seien sie noch so komplex, zu vermitteln. Keine Frage, diese Leistung bleibt auch in Zukunft wichtig, genauso wie Distributoren weiterhin Artikel von Herstellern einkaufen und den Channel damit beliefern werden. Aber es kommt eine übergeordnete Aufgabe hinzu, und die läuft im Prinzip ­darauf hinaus, Partner für das digitale Zeitalter fit zu machen.

Mehr Dienstleistungen

Wie sich die Rolle der Distribution künftig gestalten wird, lässt sich noch nicht im Detail absehen. Wahrscheinlich aber ist, dass der Anteil der Dienstleistungen gegenüber dem Produktgeschäft weiter steigen wird. Für Ingram Micro gab Deutschlandchef Maier bereits vor anderthalb Jahren das Ziel aus, den Broadliner zum Full Service Provider weiterzuentwickeln. Als ­einen Grund für den steigenden Bedarf an Dienstleistungen im Channel nannte er die zunehmende Komplexität des ITK-Geschäfts. Tendenziell brauchen Partner mehr Unterstützung, weil Endkunden immer häufiger umfassende Lösungen für konkrete Business-Szenarien fordern.

Nach Maiers Einschätzung können Distributoren in unterschiedlicher Weise auf die Transformation reagieren, entweder als Bewahrer, die in einer Nische ihr tradiertes Geschäftsmodell weiterverfolgen, oder als Optimierer, die ihr Geschäftsmodell verbessern (siehe „Ergänzendes zum Thema“). Ingram Micro sieht er dagegen in der Rolle des ­Herausforderers, der sein Geschäftsmodell verändert, indem er neue Geschäftsfelder erschließt und dabei sowohl das Produkt- als auch das Service-Portfolio erweitert. Den Rahmen dafür bildet die Strategie „Transformation 2020“, die darauf abzielt, die operative Performance des Distributors zu verbessern („Accelerate“), die Wertschöpfung über neue Hersteller, Lösungen und Services zu erhöhen („Capture“) und in Geschäftsfelder mit Wachstumspotenzial zu investieren („Enhance“).

Ergänzendes zum Thema
Innovation in der Distribution

( Bild: Ingram Micro )

Die Digitale Transformation verändert, getrieben durch technologische Neuerungen, die Marktstrukturen in der Distribution. Darauf können die Akteure mit ihrem Geschäftsmodell in unterschiedlicher Weise reagieren. Von dieser Prämisse ausgehend, teil Alexander Maier, Deutschlandchef bei Ingram Micro, das Wettbewerbsumfeld in vier Kategorien ein, nämlich in Bewahrer, Optimierer, Herausforderer und Visionäre. Die ersten drei bezeichnen Rollen, mit denen sich Distributoren positionieren, während Visionäre üblicherweise von außerhalb kommen. Zum Beispiel können Etailer, die ITK-Händlern als Einkaufsquelle dienen, diese Position einnehmen.

  • Ein Bewahrer bewegt sich in Nischen mit kaum technischer Innovation. Er pflegt langfristige Partnerschaften, wodurch er Orientierung gibt und Vertrauen schafft, und er erzielt stabile Gewinne.
  • Ein Optimierer verbessert sein eigenes Geschäftsmodell. Er betreibt auf Stabilität getrimmte Systeme, verfolgt kurzfristige Gewinnmaximierung und zeigt wenig Bereitschaft, in Neues zu investieren.
  • Ein Visionär nutzt alle Möglichkeiten der Technologie und setzt sie ein, um die Logik des Geschäfts zu verändern. Insofern agiert er disruptiv. Anfangs erzielt er wenig oder gar keinen Gewinn.
  • Ein Herausforderer verbessert nicht bestehende Geschäftsmodelle, sondern verändert die Strukturen. Dafür investiert er in sein Geschäft. Er schafft Klarheit, steht für Werte und orientiert sich an einer langfristigen Wertsteigerung.

Strukturell und in der Nomenklatur ähnelt „Transformation 2020“ der MORE-Strategie, die der Mitbewerber Also bereits 2012 präsentierte. Die ersten beiden Buchstaben des Akronyms stehen für „Maintain“ und „Optimize“. Dem Unternehmen geht es ­darum, das transaktionale Distributionsgeschäft zu erhalten und dessen Effizienz durch Prozessverbesserungen und Automatisierung zu erhöhen. Erst im August gab Gustavo Möller-Hergt, CEO der Also Holding, das Ziel vor, reine Produktbestellungen künftig zu 100 Prozent elektronisch abzuwickeln.

Deswegen ist das Unternehmen aber noch kein Optimierer im Maier'schen Sinne. Denn der „Technologie-Provider“, wie er sich inzwischen nennt, investiert konsequent in seine beiden anderen Geschäftsmodelle, die er unter den Bezeichnungen „Solutions“ (IT-Infrastruktur, IoT) und „As a Service“ betreibt. Schließlich stehen der dritte und vierte Buchstabe in MORE für „Reinvent“ und „Enhance“. Tatsächlich hat Also früher als die Mitbewerber in Plattformen für Cloud und IoT investiert. Wie Möller-Hergt erläutert, läuft die Strategie „einerseits auf eine immer weitergehende Rationalisierung von Prozessen hinaus, andererseits auf eine zunehmende Spezialisierung ­unserer Sales-Leute“. Vertriebler von Also sollen ihre Kunden aus dem Channel primär beraten – nicht nur zu Technologien, sondern auch zu deren Geschäftsmodell.

Next Generation Technologies

Bei Tech Data, dem dritten großen Distributor, ist ebenfalls eine Strategie erkennbar, die darauf abzielt, das Geschäft stärker auf Segmente mit Wachstumspotenzial und höheren Margen zu verlagern. Zugleich gibt es auch dort Bestrebungen, die traditionelle Broadline-Distribution zu rationalisieren und um innovative As-a-Service-Konzepte zu ergänzen. Durch die Akquisition von ­Avnet TS, einem VAD, der sich früh auf das Lösungsgeschäft fokussierte, hat der Distributor seine Marktposition auch hierzulande deutlich ausgebaut. Kein Mitbewerber verfügt derzeit über ein so breites Portfolio an hochkarätigen Infrastruktur-­Anbietern. Unter der Bezeichnung Next Generation Technologies hat Tech Data seit 2017 eine Business Unit aufgebaut, die sich mit den Themenfeldern IoT und Analytics befasst. Unter dem Dach der IBM-Unit gibt es zudem ein KI-Team.

Distributoren, insbesondere die großen, richten sich mit ihrem Produkt- und Dienstleistungsangebot also durchaus auf ­Zukunftsthemen wie IoT, Data Analytics und Machine Learning aus. In diese Riege gehört auch der US-Konzern Arrow, der auf diese Themen einen Schwerpunkt legt. Nimmt man allerdings in den Blick, womit Distributoren heute noch ihre Umsätze ­erzielen, so macht das klassische Produktgeschäft mit PC-Systemen und IT-Infrastruktur nach wie vor den Löwenanteil aus. Dagegen bilden Technologien aus Feldern, die eng mit der Digitalisierung assoziiert werden, einen geringen Anteil.

Wie sieht das Geschäftsmodell aus?

Gerade bei IoT und Machine Learning steht der Channel generell vor der Frage, wie diese Konzepte zu vermarkten sind. Darauf wies Frank Vitagliano, CEO beim GTDC, dem Dachverband der internationalen Distributoren, auf dessen diesjährigem Summit in San Francisco zu Beginn dieses Monats hin. Zwar sei jedem klar, dass diese Technologien für den ITK-Markt von eminenter Bedeutung sein werden. „Aber wir haben noch nicht herausgefunden, wie das Geschäftsmodell aussehen wird.“ Für Vitagliano steht aber fest, dass es „mehr Services einschließen wird, und zwar verschiedene Arten von Services, die von allen Beteiligten in der Lieferkette erbracht werden müssen“. Also noch mehr Dienstleistungspotenzial für die Distribution!

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