Channel Fokus: Cloud-Plattformen & -Marktplätze Gaia-X: Großer Wurf oder Mogelpackung?
Im hart umkämpften, aber lukrativen Cloud-Markt haben die Hyperscaler die Nase vorn. Gaia-X ist ein gemeinsamer Versuch europäischer Cloud Provider, nicht in der Versenkung zu verschwinden. Doch hält die Initiative, was sie verspricht?
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Ohne Cloud keine Digitalisierung. Die Early Adopter waren sich dessen seit jeher bewusst. Seit Anbruch der Pandemie dürfte aber auch den letzten Zweiflern klar geworden sein, welche Vorteile die Cloud in puncto schneller Bereitstellung und Skalierbarkeit gegenüber traditionellen IT-Konzepten bietet. Wer über Nacht eine Collaboration-Plattform implementieren musste, damit seine Mitarbeiter im Homeoffice weiterarbeiten konnten, wer ebenso schnell ein Shopsystem in Betrieb genommen hat, um einen digitalen Vertriebskanal aufzubauen, der weiß diese Vorzüge zu schätzen. Positive Effekte auf Unternehmen wie die Zunahme an Schnelligkeit, Flexibilität und Resilienz wurden für jedermann offenkundig. Cloud hat sich „zu einer beinahe existenziellen Notwendigkeit entwickelt“, resümiert Peter Heidkamp, Head of Technology bei KPMG.
Nachdem die Antwort darauf, ob Unternehmen für ihre Digitale Transformation die Cloud brauchen, unstrittig ist, stellt sich die zweite Frage. Und die ist weniger einfach zu beantworten: „Welche Cloud?“ Die Optionen beschränken sich nicht auf die Hyperscaler. Wenn es Anwendern um reine Infrastrukturdienste geht, um den Bezug von Rechenleistung und Speicherkapazität, so gibt es Alternativen aus Europa wie A1 Digital (Exoscale), Busymouse, Deutsche Telekom (Open Telekom Cloud), Gridscale, Ionos, Leaseweb, OVH, PlusServer, SysEleven, Wortmann (Terra Cloud) und andere. Einige stellen auch Kubernetes-Cluster bereit, auf denen sich Container betreiben lassen. OVH hat sogar Big-Data- und Machine-Learning-Dienste im Angebot.
Die Marktmacht der Hyperscaler
Kunden müssen sich allerdings bewusst sein, dass all diese Provider verglichen mit den Hyperscalern ein eingeschränktes Portfolio bereitstellen. Was globale Skalierbarkeit angeht, vor allem aber das breite Angebot an Services aus Feldern wie Network, Security, Database, Analytics, Collaboration, IoT, KI, Media-Streaming, Blockchain oder Robotik, so kann keiner der europäischen Mitbewerber auch nur annähernd mit AWS, Microsoft, Google und Alibaba konkurrieren.
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Hyperscaler-Nutzung nach dem Privacy Shield
Während die Hyperscaler laut den Marktforschern von Canalys zusammen 64 Prozent des IaaS-Markts halten (AWS 31 %, Azure 20 %, Google 7 %, Alibaba 6 %), kommen die vielen mittelgroßen und kleinen Provider gerade mal auf ein gutes Drittel des fragmentierten Segments. In Summe stellen sie eine Vielzahl an Diensten unterschiedlicher Ausprägung bereit. Einerseits gut für die Kunden, die somit keinem Oligopol ausgeliefert sind, sondern aus einem breiten, differenzierten Angebot auswählen können. Andererseits basieren die Services der diversen Provider auf unterschiedlichen, teils proprietären Architekturen, sodass sie untereinander nicht oder nur eingeschränkt interoperabel sind. Die technologische Heterogenität erschwert jedoch die Multicloud-Nutzung, und darin liegt eine gravierendes Hindernis.
Eine Cloud allein ist nicht genug
Denn eine Erkenntnis setzt sich immer stärker bei Unternehmen durch: Eine Cloud allein ist nicht genug. Laut einer Studie von Techconsult sind 72 Prozent der befragten IT-Verantwortlichen davon überzeugt, dass in den kommenden 24 Monaten der Anteil der Unternehmen, die mehr als eine Cloud nutzen, stark bis sehr stark wachsen wird. 25 Prozent der Unternehmen haben bereits eine Multicloud-Architektur aufgebaut (siehe Kasten) oder planen deren Aufbau in den kommenden zwölf Monaten.
Hyperscaler können es sich angesichts ihrer Marktmacht erlauben, proprietäre Plattformen zu betreiben. Europäische Cloud-Anbieter schießen sich ohne Interoperabilität auf technologischer Ebene jedoch über kurz oder lang ins Aus. Da jeder für sich, was Portfoliobreite und Skalierbarkeit angeht, nicht mit den Branchenriesen konkurrieren kann, liegt die Chance der europäischen Provider darin, dass sie ihre unterschiedliche Expertise in einem Netzwerk bündeln. Davon ist auch der IT-Berater Kurt Garloff überzeugt. Um die Marktmacht der Platzhirsche zu brechen, müssen europäische Standards etabliert werden. Hier kommt die Initiative Gaia-X ins Spiel.
Aufziehender Stern am Cloud-Firmament
Gaia-X gilt als aufziehender Stern am Cloud-Firmament, der eine Alternative zu den Plattformen von AWS und Co. darstellt. Der technologische Standard ermöglicht es Cloud-Anbietern in Europa, gemeinsam IT-Infrastruktur, Dienste und Datenräume aufzubauen, „die unseren Regeln und Werten hinsichtlich Datenschutz und Datensouveränität entsprechen“ und miteinander kompatibel sind, wie Garloff betont. Als CTO Sovereign Cloud Stack zählt der Experte zu den Architekten des Projekts. „Wir schaffen keinen Konkurrenten zu den Hyperscalern. Vielmehr etablieren wir Strukturen, die es erlauben, dass viele kleine, mittelgroße, aber auch große Provider föderiert ein Ökosystem bauen, das technologisch mit den Angeboten der Hyperscaler mithalten kann.“ Und da reiche es nicht aus, lediglich Datenmanagement zu betreiben und die dahinterliegende Infrastruktur weiter in fremden Händen zu wissen. „Wir müssen bei Gaia-X den kompletten Infrastrukturbereich mit eigener Technologie abdecken, sonst haben wir nur auf Sand gebaut.“
Die drei Ebenen von Gaia-X
Um die digitale Souveränität umfassend zu gewährleisten, ist Gaia-X in drei Ebenen unterteilt: Auf dem obersten Layer geht es um den sicheren, transparenten Austausch der Daten und das Management von Identitäten. Die Föderierungsebene soll es ermöglichen, dass Services diverser Anbieter plattformübergreifend genutzt werden können.
Den untersten Layer bildet die Software-Infrastruktur. Auf dieser Ebene, dem Sovereign Cloud Stack (SCS), werden verschiedene Open-Source-Projekte assembliert. Für den SCS, den die Open Source Business (OSB) Alliance kontrolliert, wird ausschließlich offener Code verwendet, um die Datenströme und die Funktionsweise der betriebenen Infrastruktur transparent zu machen. Der konsequente Einsatz von Open Source soll Anwendern außerdem maximale Freiheit und Unabhängigkeit von proprietären Cloud-Technologien garantieren. Anwendungen unterschiedlicher Plattformen können reibungslos zusammenspielen, ein Vendor Lock-in wird vermieden und eine einfache Portierung der Daten ermöglicht.
Was bedeutet Gaia-X-konform?
Provider, die sich an Gaia-X beteiligen, entscheiden letztlich aber selbst, bis zu welchem Layer (Daten, Services, Infrastruktur) sie Interoperabilität mit anderen Clouds ermöglichen. Während die Voraussetzungen einer SCS-Zertifizierung laut Garloff bereits definiert sind, wird am Anforderungskatalog für die Gaia-X-Konformität noch im Detail gearbeitet. Schon jetzt stehen zwei Eckpfeiler fest: die Einhaltung der DSGVO und die Unabhängigkeit von außereuropäischen regulatorischen Eingriffen. Das Ziel des Projekts ist es, Transparenz für den Kunden zu schaffen. Anbieter, die Gaia-X-konforme Dienste bereitstellen, legen in einer Selbstbeschreibung offen, wie ihr Stack technologisch aufgebaut ist, wie die Schnittstellen aussehen, welche Features sie in Hinsicht auf Sicherheit und Datenschutz anbieten und welche nicht.
Gaia-X-Zertifizierung = totale Datensouveränität?
Eines ist klar: Die Anforderungen für eine Gaia-X-Konformität werden niedriger sein als für die SCS-Zertifizierung. Erstere setzt nicht voraus, dass ein Provider den Open-Source-Stack implementiert. Die Interoperabilität mit anderen Diensten, die Portabilität der Daten muss also nicht zwingend auf Ebene der Infrastruktur sichergestellt, sondern kann über offene Schnittstellen erreicht werden. „In den Köpfen der Menschen steht das Projekt für vollkommene Datensouveränität. Die Tatsache, dass ein Anbieter Gaia-X-konform zertifiziert ist, heißt noch nicht, dass sämtliche Datenschutz- und Datensicherheitswünsche der Kunden erfüllt sind“, merkt Garloff kritisch an. „Wir müssen daher aufpassen, dass die Initiative nicht als Mogelpackung wahrgenommen wird.“ Weil viele mitspielen wollen, befürchtet er, die Mindestanforderungen könnten letztlich sehr niedrig ausfallen.
Wichtig ist, dass sich Nutzer darüber im Klaren sind, dass eine Gaia-X-Zertifizierung nicht zwingend totale Datensouveränität bedeutet. Durch die so geschaffene Transparenz haben sie immerhin eine Wahl. Und die Antwort auf die Frage „Welche Cloud?“ muss künftig vielleicht nicht automatisch AWS, Microsoft, Google oder Alibaba lauten.
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