Alternativloses Europa? Die digitale Unabhängigkeit

Autor Melanie Staudacher

Amazon, Microsoft und Google haben im Cloud Computing durch globale Verfügbarkeit und ein breites Spektrum an Services die Marktmacht. Viele europäische Anbieter arbeiten mit den Hyperscalern zusammen, andere möchten sich als Alternative etablieren.

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In Sachen Cloud Computing ist Europa immer noch von den Services der amerikanischen Hyperscaler abhängig.
In Sachen Cloud Computing ist Europa immer noch von den Services der amerikanischen Hyperscaler abhängig.
(Bild: © Vlad - stock.adobe.com)

Während AWS bereits 2006 mit Simple Storage Service (S3) und Elastic Compute Cloud (E2C) in das Cloud-Geschäft einstieg, hinkt Europa heute noch hinterher. Derweil profitieren die Kunden der Hyperscaler von deren globaler Reichweite, hoher Skalierbarkeit und Verfügbarkeit: Marktführer AWS bietet mittlerweile mehr als 175 Services in aktuell 24 Infrastrukturregionen mit 74 Verfügbarkeitszonen an. Die Verfolger Microsoft und Google zogen mit den Plattformen Azure und Google Cloud im Jahr 2010 nach. Im Bericht für das erste Quartal 2020 der Synergy Research Group wird deutlich, dass die Hyperscaler aus den Vereinigten Staaten auch in Europa klar die Oberhand haben: Amazon und Microsoft führen das Ranking in allen europäischen Ländern an. Google ist fast überall auf Platz drei. Kein Wunder also, dass Experten schon lange vor einer Abhängigkeit Europas von den USA warnen und appellieren, den Aufbau europäischer Cloud-Infrastrukturen weiter voranzutreiben. So mahnt auch Tobias Gerlinger, CEO bei Owncloud in Nürnberg: „Soll die Digitalisierung nachhaltig bleiben, gilt es dafür vor allem ein zentrales Thema anzugehen: die digitale Abhängigkeit Deutschlands und ganz Europas von den USA.“

Hyperscaler finden Zuspruch

Frank Strecker, Senior Vice President Public Cloud Managed Services bei der Deutschen Telekom
Frank Strecker, Senior Vice President Public Cloud Managed Services bei der Deutschen Telekom
(Bild: Deutsche Telekom AG)

Zwar bieten europäische Provider inzwischen viele Cloud-Dienste an, kommen aber längst nicht an die breite Produktpalette der Hyperscaler heran. Denn diese decken den gesamten Cloud-Stack von IaaS, PaaS und SaaS ab, für jedes Business gibt es somit den passenden Dienst. Aus diesem Grund bieten auch große deutsche Provider wie die Deutsche Telekom, Wortmann oder Busymouse neben den eigenen Plattformen die Dienste aus den USA an. „Die Realität ist, dass viele Unternehmen einen oder mehrere Hyperscaler nutzen. Das ist auch in Ordnung, weil jede Cloud für bestimmte Anwendungen ihre

Bei Busymouse ist die Cloud von Microsoft Azure im Einsatz, um auch hybride Szenarien abzubilden, wie Thimo Groneberg, Managing Director bei Busymouse, erläutert.
Bei Busymouse ist die Cloud von Microsoft Azure im Einsatz, um auch hybride Szenarien abzubilden, wie Thimo Groneberg, Managing Director bei Busymouse, erläutert.
(Bild: Busymouse)

Vorteile haben kann“, sagt Frank Strecker, Senior Vice President Public Cloud Managed Services bei der Deutschen Telekom. In Hannover bei Busymouse werden die Cloud-Angebote von Microsoft in Anspruch

Stepahn Teinert, Head of Cloud Sales bei Wortmann
Stepahn Teinert, Head of Cloud Sales bei Wortmann
(Bild: Wortmann)

genommen, um auch hybride Szenarien abzubilden. Dafür kommt die Azure Bridge zum Einsatz. Damit lassen „sich mühelos lokale Infrastrukturdienste wie IoT mit denen von Microsoft koppeln“, erläutert Thimo Groneberg, Managing Director bei Busymouse. „Strategisch ist es gar nicht unser Ziel, uns gegen die Hyperscaler abzugrenzen. Denn wir begreifen uns nicht als Gegner.“

Nah am Kunden, nah am Erfolg

Wettbewerbsnachteile wettmachen können kleinere Anbieter mit persönlichem Kundensupport. Laut der Studie „ISG Provider Lens Public Cloud – Solutions & Service Partner Germany 2019“, legen deutsche Unternehmen bei der Auswahl von Cloud-Anbietern neben dem Support und der Vertragsflexibilität auch besonderen Wert auf den Standort der Rechenzentren. Hier können die Provider aus

Markus Fleischer, Senior Manager Strategy bei A1 Digital
Markus Fleischer, Senior Manager Strategy bei A1 Digital
(Bild: A1 Digital)

Europa punkten. Ein Beispiel ist der österreichische Anbieter A1 Digital. Das Unternehmen betreibt die Cloud-Plattform Exoscale in insgesamt sechs Rechenzentren in Deutschland und Österreich. Die Kunden profitieren von lokalen, festen Ansprechpartnern, was sich in der Qualität des Service widerspiegelt, sagt Markus Fleischer, Senior Manager Strategy bei A1 Digital. „Die Hyperscaler sind dahingehend auch bemüht, besser zu werden, können das in der Form aber nicht leisten“, ergänzt Groneberg. Nicht nur die physische Nähe zu den Kunden bringen europäische Cloud Provider mit, sondern auch „die Mentalität und das Verständnis für die Marktsituation“, führt Teinert weiter aus. Das Vertrauen in den Partner vor Ort sowie die persönlichere Zusammenarbeit seien die großen Vorteile von Wortmann. Die meisten Anbieter unterstützen ihre Kunden außerdem mit

Christian Böing, Chief Sales Marketing Officer bei Ionos Cloud, ist überzeugt von den Vorteilen der europäischen Cloud-Anbieter.
Christian Böing, Chief Sales Marketing Officer bei Ionos Cloud, ist überzeugt von den Vorteilen der europäischen Cloud-Anbieter.
(Bild: Ionos)

Cloud Consultants bei der Entwicklung Cloud-fokussierter Lösungen. „Wir sind selbst ein europäischer Mittelständler und wissen, vor welchen Herausforderungen unsere Kunden stehen“, sagt auch Christian Böing, Chief Sales Marketing Officer bei Ionos Cloud. Der jungen Cloud-Marke stehen als Teil der Ionos-Gruppe zehn selbst betriebene Rechenzentren in Deutschland, Großbritannien, Spanien, Frankreich und den USA zur Verfügung.

Datenschutzbedenken

Die Ungültigkeitserklärung des EU-US Privacy Shield hat die Datenschutzbedenken gegenüber Anbietern mit amerikanischem Hauptsitz weiter angeheizt. „Das Risiko sehe ich eindeutig in puncto Vertrauen, das durch den Cloud Act verloren gegangen oder zumindest erschüttert worden ist“, sagt Teinert. Der Cloud Act räumt US-Behörden gewisse Zugriffsrechte auf Daten ein, die bei amerikanischen Providern gespeichert sind, selbst wenn die Server in Europa stehen. Der hohe Datenschutzstandard, so sind sich die hiesigen Anbieter einig, ist der entscheidende Vorteil, den sie gegenüber den Hyperscalern haben. „Europäische Cloud Provider bieten maximalen Schutz vor dem Cloud Act“, stellt Böing klar. Wollen Unternehmen den Schutz sensibler Daten sicherstellen und sich die Kontrolle darüber zurückholen, sollten sie auf Anbieter ausweichen, die ihren ausschließlichen Standort im juristischen Geltungsbereich der EU haben. „Außerdem ist das natürlich die Garantie, dass keine US-Behörde auf legalem Weg an die Daten aus der Cloud kommt und Mitarbeiterdaten oder Geschäftsgeheimnisse einsehen kann“, sagt Böing.

Fazit: Die Abhängigkeit dauert an

So verlockend der Wechsel zu einer der europäischen Alternativen aus datenschutzrechtlicher Sicht scheinen mag, sollte mit Bedacht gehandelt werden. „Wichtig ist, dass die Exit-Strategie ganzheitlich betrachtet und nicht überstürzt durchgeführt wird“, erklärt Teinert. Das richtige Migrationsszenario sei entscheidend und die Erkenntnis, welche zentralen Dienste des Unternehmens von dem Umstieg betroffen sind. Neben guter Organisation ist es essenziell die Kosten nicht zu unterschätzen, mahnt Fleischer. „Es werden Kosten für das Transfer-Tool, den kostenpflichtigen Cloud-Download, den zusätzlich notwendigen Speicher sowie auch potenziell notwendige IT-Experten anfallen.“

Zu bedenken gilt außerdem, dass die europäische Dateninfrastruktur lange nicht so ausgereift ist, wie die der amerikanischen Hyperscaler. Sprich Europäer können bislang nicht alle Dienste abbilden. Zwar hat Gaia-X, das Projekt des Bundeswirtschaftsministeriums, das Ziel europäische Cloud-Anbieter wettbewerbsfähiger zu machen und Datensouveränität zu gewährleisten. Es ist allerdings noch in der Planungsphase. Konkrete Alternativen zu AWS, Google und Microsoft gibt es aktuell also nur bedingt.

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