Wettbewerber bleiben skeptisch Microsoft verspricht europäischen Cloud-Providern Fairness
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Eine Klage durch OVH gegen Microsoft wegen Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung war erfolgreich – mehr oder weniger: Microsoft hat angekündigt, künftig europäischen Cloud-Providern faire Lizenzverträge anzubieten. Diese bezweifeln das allerdings.

OVH, französischer Rechenzentrumsanbieter, der Webhosting, Cloud Computing und dedizierte Serverinstanzen verkauft, hatte im Sommer 2021 eine Beschwerde beim Kartellarm der Europäischen Kommission (EC) eingereicht. Darin geht es um die Lizensierungspraxis von Microsoft: Europäische Provider würden zu Verträgen genötigt, mit denen sie zum Beispiel Office 356 zu höheren Gebühren anbieten müssen, als Microsoft dies selbst über seine Cloud-Plattformen tut. Microsoft untergrabe so durch den Missbrauch seiner marktbeherrschenden Stellung den fairen Wettbewerb und schränke die Wahlmöglichkeiten der Verbraucher auf dem Markt für Cloud-Computing-Dienste ein.
Bislang war Microsoft der Kritik mit dem Argument begegnet, dass es seinen Wettbewerbern ebenfalls das Recht einräumen würde, ihre Lizenzpolitik frei zu gestalten. Nun aber erklärte Microsofts Vice Chairman und President Brad Smith: „Wir haben die Botschaft verstanden.“ Er fügte hinzu: „Wir haben das Gefühl, dass obwohl nicht alle diese Behauptungen gültig sind, einige von ihnen doch valide sein könnten. Wir werden daher sehr bald Änderungen vornehmen. Als bedeutender Technologieanbieter sind wir uns unserer Verantwortung bewusst, ein gesundes Wettbewerbsumfeld zu unterstützen, und der Rolle, die vertrauenswürdige lokale Anbieter bei der Erfüllung der Technologieanforderungen der Kunden spielen.“
Zwei neue Microsoft-Initiativen gestartet
Er kündigte dann zwei eng miteinander verbundene Initiativen an. Die erste besteht aus fünf „europäischen Cloud-Prinzipien“, die Microsoft künftig anzuwenden gedenke. Diese lauten:
- Wir wollen sicherstellen, dass unsere Public Cloud den Bedürfnissen Europas entspricht und den europäischen Werten dient.
- Wir wollen sicherstellen, dass unsere Cloud eine Plattform für europäische Softwareentwickler bietet.
- Wir werden mit europäischen Cloud-Anbietern zusammenarbeiten.
- Wir wollen sicherstellen, dass unsere Cloud-Angebote in Zusammenarbeit mit lokalen und vertrauenswürdigen Technologieanbietern die Bedürfnisse der europäischen Regierungen erfüllen.
- Wir erkennen an, dass die europäischen Regierungen die Technologie regulieren, und Microsoft werde das unterstützen.
Die zweite Initiative soll es den europäischen Cloud-Anbieter erleichtern, Microsoft-Produkte in ihrer Cloud-Infrastruktur zu hosten. Dafür soll das Programm „Cloud Solution Provider“ erweitert werden: „Diese Erweiterung wird es den Cloud-Anbietern ermöglichen, Windows und Office einschließlich Windows 11 und Microsoft 365 Apps for Business and Enterprise als Teil einer vollständigen gehosteten Desktop-Lösung anzubieten, die sie in ihrer Infrastruktur aufbauen, verkaufen und hosten können“, so Smith.
Smith: „Microsoft will helfen“
Die Erweiterung werde es europäischen Cloud-Anbietern auch ermöglichen, denselben Service für Kunden bereitzustellen, die Windows- und Office-Software von anderen Microsoft-Partnern kaufen und möglicherweise möchten, dass ein europäischer Cloud-Anbieter diese Software für sie hostet. „Kurz gesagt, wir werden es europäischen Cloud-Anbietern ermöglichen und sogar helfen, Microsoft-Produkte auf ihrer Infrastruktur für Kunden zu hosten und auszuführen, einschließlich Produkten, die traditionell nur für die Ausführung auf den eigenen Desktop- oder Servercomputern eines Kunden lizenziert wurden“, so der Microsoft-President.
Man wolle die Empfehlung der Fair Software Licensing Principles umsetzen und sich bemühen, überarbeitete Lizenzbedingungen zu erstellen. Geplant sei auch, „die Software Assurance zu erweitern, um es Kunden zu ermöglichen, ihre Lizenzen bei jedem europäischen Cloud-Anbieter zu verwenden, der Dienste in ihren eigenen Rechenzentren bereitstellt.“ Kurz: „Mit den Änderungen, die wir vornehmen werden, können Kunden nun Lizenzen nur für die virtualisierte Rechenkapazität erwerben, ohne die Anzahl der physischen Kerne zählen zu müssen, auf denen die virtualisierte Umgebung gehostet wird.“
In Kürze sollen „Details zusammen mit den Akteuren des Ökosystems ausgearbeitet werden“. Zudem sollen die europäischen Cloud-Unternehmen Zugang zu „einem engagierten Support-Team“ bekommen, so Smith. Später sollen diese Maßnahmen auf die ganze Welt ausgedehnt werden.
Kritik: An der Lizenzierungspraktik ändert sich nichts
Die Vereinigung von Cloud-Infrastruktur-Anbietern in Europa CISPE reagierte umgehend. Francisco Mingorance, Generalsekretär bei CISPE, stellte den „guten Willen oder die Nächstenliebe“ von Microsoft grundsätzlich in Frage. Er forderte, dass das Unternehmen konkrete Änderungen an seinen Software-Lizenzierungspraktiken vorlegen soll, „und diese Änderungen müssen für unabhängige Dritte überprüfbar sein.“
Microsoft habe nun ja zugegeben, dass einige seiner Lizenzierungspraktiken unfair seien, jetzt müsse das Unternehmen unverzüglich handeln. „Die heute angekündigte Initiative geht in keiner Weise auf die unfairen Lizenzierungspraktiken ein, die im Mittelpunkt der Beschwerden und Bedenken von Cloud-Infrastrukturdienstleistern und Kunden in Europa stehen. Sie trägt nicht dazu bei, die wettbewerbswidrige Bündelung von Produktivitätssoftware mit Cloud-Infrastrukturdiensten zu beenden.“
So sollen Microsoft-Lizenzen die Wettbewerber benachteiligen
Cispe hatte bereits im Oktober vergangenen Jahres im Zuge der Prüfung, Diskussion und Abstimmung über den Digital Markets Act (DMA) eine flankierende Studie an die Mitglieder des Europäischen Parlaments, der Europäischen Kommission und des Rates übermittelt, in der die Praktiken aufgezeigt werden, mit denen Microsoft, aber auch andere amerikanische Technologieriesen die Wahlmöglichkeiten europäischer Unternehmen bei der Cloud-Migration einschränken. Typische Lizenzbedingungen, die laut der Studie den fairen Wettbewerb einschränken, sind:
- Abschaffung von Bring Your Own Licence (BYOL)-Verträgen. Die Kunden werden dadurch gezwungen, für die Nutzung von Software, die sie bereits lizenziert haben, in einer konkurrierenden Cloud-Infrastruktur erneut zu zahlen.
- Bündelung von Software-Produkten mit Cloud-Infrastrukturen, um die Angebote anderer Cloud-Anbieter weniger attraktiv/teurer zu machen.
- Vertragliche Einschränkungen, Software auf Hardware-effiziente Art und Weise zu nutzen, indem Kunden zur Nutzung einer speziellen Cloud-Infrastruktur gezwungen werden.
- Erhöhung der Preise für Partner, die ihre eigene Cloud-Infrastruktur nutzen, während die Preise für Partner stabil bleiben, die über die Cloud-Infrastruktur des Software-Anbieters verkaufen.
- Künstliche Einschränkung der Portabilität von Daten, um die Nutzung konkurrierender Cloud-Infrastrukturen teurer oder gar unmöglich zu machen.
- Das Abfragen von Kundeninformationen von Partnern von Cloud-Diensten zu „Abrechnungszwecken“, um dann aber direkt an diese Kunden heranzutreten, um sie zum Wechsel der Cloud-Infrastruktur zu bewegen.
„Die Studie zeigt deutlich, dass Grundsätze für eine faire Software-Lizenzierung notwendig sind und in den DMA aufgenommen werden sollten“, so Alban Schmutz, Vorsitzender von CISPE. „Dies ist ein wichtiges Thema, das sowohl Rechtsvorschriften als auch die freiwillige Verpflichtung auf faire Praktiken der Software-Lizenzierung umfasst, um eine bessere Lösung für europäische Unternehmen und Verbraucher zu gewährleisten.“
Der lange und zähe Streit der EU mit Microsoft
CISPE plädierte nun neuerlich daher dafür, dass die Europäische Kommission „ihre Untersuchung im Interesse der europäischen Cloud-Kunden unvermittelt fortsetzen“ muss. Das wird diese vermutlich auch tun, denn Microsoft steht seit geraumer Zeit im Fadenkreuz der Wettbewerbshüter: Zuletzt im Dezember hatte die Stuttgarter Nextcloud GmbH zusammen mit einer Koalition europäischer Software- und Cloud-Unternehmen eine formelle Beschwerde bei der Europäischen Kommission über Microsofts wettbewerbswidriges Verhalten in Bezug auf das OneDrive-(Cloud)-Angebot eingereicht. Der Vorwurf: Microsoft bündele OneDrive, Teams und andere Dienste mit Windows und dränge Verbraucher „aggressiv“ dazu, sich anzumelden und ihre Daten an Microsoft zu übergeben.
Diese Beschwerde reiht sich ein in eine Serie von Klagen, die den Softwarekonzern zum Dauergast vor europäischen Gerichten macht. Spektakulär war etwa, als die EU-Kommission 2004 wegen Verstößen gegen den fairen Wettbewerb gegen Microsoft ein Bußgeld über damals beeindruckende 500 Millionen Euro verhängte. Damals ging es um die Koppelung von Windows und Media Player.
Seitdem gab es immer wieder Klagen wegen diverser Koppelungen von Diensten oder den Lizenzverträgen. Frank Karlitschek, CEO und Gründer der Nextcloud GmbH, sieht darin ein sich wiederholendes Muster: „Dies ist vergleichbar mit dem, was Microsoft tat, als es den Wettbewerb auf dem Browser-Markt ausschaltete und über ein Jahrzehnt lang fast alle Browser-Innovationen stoppte. Man kopiert das Produkt eines Innovators, bündelt es mit dem eigenen, dominanten Produkt und macht ihm das Geschäft kaputt, dann hört man auf zu innovieren.“
Die EU müsse dafür sorgen, dass kein „Gatekeeping“, d.h. eine Bündelung, Vorinstallation oder Aufdrängen von Microsoft-Diensten erfolge. Nur so könnten faire Wettbewerbsbedingungen geschaffen werden.
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